Hexenpost

Spiritualität - Umwelt - Gesellschaft

Magdalena

 



Die drei Stufen zum Eingang des Pfarrhauses nahm sie fast im Laufschritt, ehe sie mit der Faust so fest sie konnte gegen das Holz der Eingangstür hämmerte. Es dauerte einige Zeit, bis sie von drinnen die heisere Stimme der Anna hörte. „Ich komme ja schon!“
Die Pforte wurde geöffnet und ein grauhaariger Kopf erschien im Türspalt. „Wer …?“ Dann erblickte sie das Mädchen. „Die Magdalena. Was ist geschehen, Kleines?“
„Ich muss den Herrn Pfarrer sprechen!“, stieß diese hervor.
Für einen Moment schaute die Frau Magdalena irritiert an. „Warte mal. Da muss ich erst schauen, ob er da ist.“ Dann schloss sich die Tür wieder, während Magdalena draußen stand. Sie spürte, wie die Sonne ihren Rücken erwärmte. Es war ein gutes Gefühl, etwas, das ihr sagte, dass sie das Richtige tat.
Von drinnen drangen Stimmen heraus. Der Pfarrer war da. Ein weiteres gutes Zeichen. Dann hörte sie die langsamen Schritte Annas, die wieder zur Tür kam. Magdalena atmete tief ein. Die Tür wurde geöffnet und der grauhaarige Kopf der Haushälterin erschien erneut.
„Der Pfarrer sagt, er sei für dich nicht zu sprechen. Es tut …“
Weiter kam die Frau nicht. Mit aller Kraft warf Magdalena sich gegen die Tür, sodass Anna zurückgeschoben wurde und dem wütenden Mädchen den Weg freigab.
„Wo ist er?“, zischte sie die alte Frau an.
„In seinem Studierzimmer“, antwortete Anna und wies auf eine der kleinen Türen.
Ohne ein weiteres Wort stieß Magdalena sie auf. Augenblicklich erblickte sie den Pfarrer, der hinter seinem Tisch am Fenster gesessen hatte und wegen des Lärms aufgesprungen war. Dieser funkelte sie zornig an: „Was in Gottes Namen fällt dir ein? Wirf sie auf die Straße, Anna!“
Magdalena trat einen Schritt zur Seite und drehte sich dabei um, dass sie die Haushälterin sehen konnte. Anna war hinter sie getreten war und griff nach ihr.
„Wage dich, mich anzufassen!“, fauchte sie die alte Frau an. Erschrocken trat diese wieder einen Schritt zurück, sodass sie erneut in der Diele stand. Dann wandte Magdalena sich an den Pfarrer: „Meine Mutter sagt, du willst, dass meine Großmutter nicht auf dem Kirchhof beerdigt werden soll?“
„Selbstverständlich nicht! Eine Kräuterhexe darf nicht in geweihter Erde beigesetzt werden! Das habe ich bereits dei…“
„Eine Kräuterhexe?“, stieß Magdalena empört hervor. „Meine Großmutter war keine Hexe! Sie hat den Menschen geholfen!“
„Sie war eine Hexe“, wiederholte der Pfarrer. „Und das ist gotteslästerlich.“
„Sie war jeden Sonntag in der heiligen Messe.“
„Auch dem Teufel persönlich wäre es möglich, an der Messe teilzunehmen!“
„Und als du bei uns warst, weil dein rechtes Knie schmerzte, da hat es dich auch nicht interessiert, ob die Großmutter eine Hexe war. Du wolltest nur von deinen Schmerzen befreit werden.“
„Einen Mann Gottes zu umgarnen, ist der Hexe nicht gelungen!“, konterte der Pfarrer.
Überrascht sah Magdalena den Mann an. Dieser grinste, als er bemerkte, dass das Mädchen nicht weiterwusste.
Die Gedanken in Magdalenas Kopf überschlugen sich. Dann stieß sie hervor: „Hast du die Behandlung bezahlt?“
„Was bezahlt?“, lachte der Pfarrer. „Was sollte ich bezahlt haben? Deine Großmutter hat mir ihren Preis nicht genannt!“
Aber Magdalena erinnerte sich. „Oh, doch! Hast du für sie gebetet, wie sie es dir auftrug?“
„Warum sollte ich für das Seelenheil einer Hexe beten?“ Der Pfarrer lachte.
„Das ist der Grund, warum die Heilkräuter ihre Kräfte nicht entfalteten! Der Herr hat gerichtet. Du hast dir die Heilung von deinen Leiden erbettelt. Die, die dir Linderung verschaffte, aber hast du verurteilt. Das ist eine Sünde, Herr Pfarrer!“
„Sage du mir nicht, was eine Sünde ist, Gör!“
Doch davon ließ Magdalena sich nicht mehr irritieren. Ruhiger fuhr sie fort: „Es ist so, Herr Pfarrer: Alles, was ich haben will, muss ich auch bezahlen. Irgendwie. Aber da ich sehe, dass Ihr rechtes Knie wieder schmerzt, schlage ich Ihnen einen Handel vor.“ Zuletzt war sie leise und entspannt geworden und sah den Pfarrer nun ruhig abwartend an.
„Du …“, wollte der Pfarrer wieder wütend ansetzen. Doch entweder die Tatsache, dass das Mädchen ihn ruhig ansah, oder die Erinnerungen an sein schmerzendes Knie ließen auch seine Wut verrauchen, sodass er fortfuhr: „Was willst du mir vorschlagen, Kind?“
„Ich bin hier, um meiner Großmutter einen letzten Dienst zu erweisen. Deswegen ist es gerecht, diesen mit ihrem Wissen zu erkaufen. Ihr Knie schmerzt. Und der Schmerz wird immer wieder kommen, besonders in Herbst und Winter.“
„Woher weißt du …“
„Es gibt kein Mittel, das Knie zu heilen. Aber es gibt eines, die Schmerzen zu nehmen. Ich werde Ihnen das Rezept geben, das Anna diese Salbe für Sie zubereiten kann.“
Nachdenklich betrachtete der Pfarrer das kleine Mädchen. Aber Magdalena hatte bereits ein Blitzen in seinen Augen gesehen, sodass sie wusste, dass der Pfarrer angebissen hatte. Er hatte sich bereits für den Handel entschieden, bevor er selber das wusste.
„Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sprichst? Dass du wirklich das Rezept für die Salbe deiner Großmutter kennst, und dass du es mir wirklich gibst?“
Einen Mment dachte Magdalena nach. Dann meinte sie: „Ich werde es schwören.“
„Bei unserem Herrn?“
„Bei unserem Herrn!“
„Und auf die heilige Schrift?“
„Auf die heilige Schrift.“
„Und was willst du dafür?“
„Dass Sie die Großmutter auf dem Kirchhof beerdigen!“
Empört plusterte der Pfarrer sich auf. „Ich soll das Gesetz der heiligen Mutter Kirche brechen? Wie kannst du soetwas von mir erwarten?“
„Dann nicht“, entgegnete Magdalena, drehte sich um und war mit einem Schritt aus dem Arbeitszimmer des Pfarrers in die Diele getreten.
Hinter sich hörte sie die Stimme des Pfarrers: „Warte!“, gefolgt von einem sachten Poltern und einem unterdrückten Schmerzensschrei.
Magdalena blieb stehen. Sie hatte noch zwei Schritte an der Haushälterin vorbei durch die Diele gemacht und ging davon aus, dass sie für den Pfarrer nicht mehr zu sehen war.
Dieser stieß auch sofort gedämpft hervor: „Halte sie auf, Anna! Sie darf das Haus nicht verlassen.“
Langsam drehte Magdalena sich um. Sie schaute in das fragende Gesicht der Haushälterin, die ihren Platz neben der Tür nicht verlassen hatte. Sie wollte die alte Frau nicht gegen sich haben. Also ging sie die zwei Schritte zurück, blieb dann jedoch im Türrahmen stehen, unmittelbar vor Anna, und blickte den Pfarrer fragend an.
Dieser stand leicht gekrümmt neben seinem Tisch, das rechte Bein zur Entlastung angehoben.
„Gut“, meinte der Geistliche schließlich. „Hier ist die heilige Schrift. Schwöre es.“ Dabei wies er auf ein dickes Buch mit unzähligen, vergilbten Seiten und hölzernen Deckeln.
Langsam ging auf das auf dem Tisch liegende Buch zu und legte die Hand darauf. Dann machte sie sich bereit, genau auf das zu hören, was der Pfarrer ihr vorsprach.
„Ich schwöre bei unserem Herrn, seinem Sohn Jesu Christ und dem Heiligen Geist, bei …“ Es folgte eine schier endlose Auflistung von Namen von Engeln, Erzengeln und Heiligen aller Zuständigkeiten, die Magdalena zum größten Teil nicht kannte und noch nie gehört hatte. „… dass ich das Rezept für die Salbe meiner Großmutter, dass diese unserem hochwürdigen Pfarrer gegen sein Knieleiden gab, ihm weitergeben werde, ohne etwas zu ändern, wegzunehmen oder hinzuzufügen,  so wahr mir Gott helfe!“, beendete  der Pfarrer.
Und Magdalena fügte ohne nachzudenken hinzu: „… sobald der Herr Pfarrer meine Großmutter auf dem Kirchhof in Ehren beigesetzt hat. So wahr mir Gott helfe!“
Dann zog sie die Hand zurück und schaute den Geistlichen an. Dessen Augen funkelten wieder. In diesem Moment wusste sie, was der Plan des Pfarrers gewesen war.
„So hatte ich es dir nicht vorgesagt“, zischte er.
„Aber, Herr Pfarrer“, erwiderte Magdalena mit Unschuldsmiene. „Sie fühlen sich doch sowieso an Ihre Zusage gebunden, nicht wahr? Da macht Ihnen dieser kleine Zusatz sicherlich nichts aus.“ Sie lächelte gewinnend. Zumindest hoffte sie, dass es so wirkte.
Schließlich nickte der Pfarrer. „Selbstverständlich ist mein Wort bindend. Da bedarf es keines Schwurs!“
Auch Magdalena nickte nun. „Und wann wird der Großmutter die heilige Messe gelesen?“
Es war etwas triumphierendes in der Stimme des Pfarrers, als er antwortete: „Von einem Requiem war keine Rede. Du sprachst nur von der Beisetzung, Kind.“
Innerlich fluchte Magdalena, dass sie daran nicht gedacht hatte. Doch sie beschloss, sich auch darüber nichts anmerken zu lassen. „Das meine ich auch. Wann wird die Beisetzung sein?“
„Lass mich überlegen“, erwiderte der Pfarrer. „Wann sagtest du, sei die Kräu… sei deine Großmutter gestorben?“
Drei Tage später,wie es der Brauch war, wurde Magdalenas Großmutter beigesetzt. Natürlich wurde kein Requiem für sie gelesen, und von den Dorfbewohnern war auch niemand anwesend.
Nur für Magdalena stand fest, dass sie weiter Salben und Tränke für die Bedürftigen mischen würde. Nur der Pfarrer ließ sich nie mehr in der kleinen Hütte am Waldrand sehen.


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