Hexenpost

Spiritualität - Umwelt - Gesellschaft

Klar gibt es Hexen

 



„Es gibt keine Hexen“ mault Jonathan. „Woher willst du das wissen? Fragt seine Schwester.“ Sie sitzt mit angezogenen Beinen auf der Eckbank und macht Matheaufgaben. „Weil ich es eben weiß. Oder hast du etwa schonmal eine getroffen? Kommt es patzig zurück. „Das ist doch Zeug, dass nur in den Märchen existiert.“ Aufmerksam setzt sich seine Schwester auf. „Was wenn ich dir sage, dass ich nicht nur eine Hexe kenne, sondern sogar zwei?“ „Das glaub ich dir nicht. Und überhaupt erzählst du eh nur dummes Zeug.“ „Gut, dann erzähle ich dir die Geschichte eben nicht“ meint sie und nimmt ihren Stift wieder in die Hand. „Nagut nagut, erzähl schon.“ Sagt der kleine Bruder und rückt mit seinem Kissen demonstrativ ein Stück näher an die Eckbank. „Also gut, sagt die große Schwester und legt ihren Stift wieder weg. „Alles begann, als ich vor 2 Jahren im Landschulheim war. Ich war sehr wütend weil es eigentlich nach Berlin hätte gehen sollen aber am Ende sind wir doch nach Rotenberg gefahren. Wir waren schon 7 Stunden mit dem Bus unterwegs und langsam ist mir richtig schlecht geworden.“ „Kommst du auch mal zum Punkt? Fragt der kleine Bruder ungeduldig „Wann kommt endlich die alte, böse Hexe aus dem Gebüsch hervorgesprungen und will dich fressen?“ „Die Hexe war weder alt noch böse.“ Lacht die Schwester kopfschüttelnd. „Wenn du ein Märchen hören willst, musst du dir ein Märchenbuch holen.“ „Dann ist die Geschichte ja voll langweilig. Was können die denn sonst?“ „Wenn du mich weitererzählen lässt, wirst du es schon noch erfahren.“ Meint sie kopfschüttelnd. „Als wir endlich angekommen sind und unsere Sachen aufs Zimmer gebracht haben, durften wir noch ein bisschen Kettcar fahren“ „Und dabei hats dich richtig hingehauen.“ Unterbricht Jonathan seine Schwester erneut. Feixend schaut er nach oben. „Genau! Mein Knie hat auf jeden Fall sehr geblutet und wehgetan. So doll, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Leider war ich auch allein weil meine Freunde schon zum Essen reingegangen sind. Ich hab ein paar Mal versucht aufzustehen aber es ging nicht. Also habe ich angefangen zu weinen. Dann kam aber aus dem Haus eine Katze auf mich zugelaufen.“ Auf einmal sieht der kleine Bruder doch interessiert aus „War die Katze schwarz?“ „Nein, es war eine orangene Katze.“ „Aber Hexen haben doch immer schwarze Katzen“ murrt Jonathan und rutscht ungeduldig auf seinem Kissen herum. „Ich dachte Hexen gibt es nicht“ sagt seine Schwester ruhig und zieht eine Augenbraue nach oben. „Oder willst du deine Meinung ändern?“ „Nein“ sagt ihr Bruder bestimmt und verschränkt trotzig die Arme vor seiner Brust. „Auf jeden Fall kam dann diese orangene Katze auf mich zu und ich hab mich direkt nichtmehr so alleine gefühlt.“ Fährt die große Schwester fort. „Irgendwie bin ich ganz ruhig geworden. Und dann hab ich die Katze angeguckt und die Katze hat mich angeguckt. Dann hat sie sich auf einmal umgedreht und ist weggelaufen. Aber irgendwie wusste ich, dass sie wieder kommt. Ich hatte Vertrauen in die Katze. So 5 Minuten später kam eine Frau auf mich zu gerannt und hat mich reingetragen. Sie hat mich in die Küche gebracht und nebens Waschbecken auf den Schrank gesetzt. Sie heißt Simone, hat sie gesagt und sie ist hier seit einem Jahr Köchin weil sie ihre Ausbildung jetzt fertig hat. Simone hat meiner Lehrerin bescheid gesagt und die Katze blieb währenddessen die ganze Zeit bei mir. Sie hat gefragt ob meine Wunde sehr brennt, was sie getan hat und dann vorsichtig meine Wunde ausgewaschen. Hinter ihr hing ein Regal an dem ganz viele Kräuter hingen. „Wusste ichs doch.“ Ruft der kleine Bruder triumphierend„ Sie wollte dich doch essen und hat nach Gewürzen gesucht um dich zu braten.“ Mit großen Augen und wild gestikulierend springt er von seinem Kissen auf und beginnt im Zimmer auf und ab zu laufen. „Unsinn“ hält seine Schwester dagegen. Kann sich ein Lächeln aber doch nicht ganz verkneifen. „Warum sonst hätte sie dich in die Küche gebracht?“ argumentiert Jonathan und dreht sich zu seiner Schwester um. „Dass wirst du gleich noch erfahren.“ „Also, Simone hat aus dem Regal ein paar Kräuter zusammengesucht und Wasser auf den Herd gestellt. Neugierig habe ich beobachte wie ihre flinken Hände einen Mörser, mehrere Gefäße und ein paar Mullbinden neben die Kräuter auf die Arbeitsfläche gelegt haben. Die Kamille und den Ingwer habe ich erkannt weil Mama uns damit immer Tee macht wenn wir krank sind. Außerdem hat sie noch Eukalyptus, Kiefer und Thymian mit rausgeholt und mir erklärt was das alles ist und woran man es erkennt. Daraus und aus dem Ingwer wollte sie eine Salbe für mich machen. In der Küche mit dem warmen Kaminfeuer, dass an den Wänden geflackert hat und dem Geruch von frisch gebackenem Brot habe ich mich sofort geborgen gefühlt. Simone hat mir noch einen warmen Kamillentee aus einer selbstgetöpferten Tasse mit einem Mond drauf in die Hand gegeben und nebenbei alle Zutaten zermörsert. Für die Nerven, hat sie gesagt. Währenddessen hat sie mit ihrer sanften, mir irgendwie vertrauten Stimme erzählt, dass es sie immer sehr beruhigt mit den Geschenken der Natur zu arbeiten. Die Natur ist heilig und gibt uns so viel, wenn wir nur wissen wie man es nutzt. Sie hat mir sogar angeboten mir morgen ihren Kräutergarten zu zeigen wenn ich wieder ein bisschen laufen kann. „Ist dass jetzt der Punkt an dem sie dich vergiftet?“ Fragt Jonathan aufgeregt „Oder ist das schon beim Tee passiert?“ „Weder noch“ erwidert die Schwester augenrollend. „Warum bestehst du so darauf, dass die Hexe etwas hinterhältiges vorhat? Bis jetzt hat sie mich reingetragen, mich getröstet und meine Wunde versorg.“ Verdutzt schaut der kleine Bruder seine Schwester an. „Das wurde mir halt so gesagt.“ „Und seit wann hörst du auf das was man dir sagt?“ fragt seine Schwester belustigt. Nachdenklich schaut Jonathan in die Luft. „Darf ich jetzt weitererzählen?“ Ein Nicken. „So, wo war ich? Die liebe Frau hat also die Salbe auf die Mullbinden gestrichen und mein Bein verbunden. Und weißt du was sie dabei gesagt hat?“ „Nein weiß ich nicht“ grummelt der kleine Bruder. Sein Interesse kann er aber nicht ganz verbergen. Nach vorne gebeugt rutscht er ein Stück näher an die Eckbank heran. „Heile heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee und schon tuts nicht mehr weh.“ Enttäuscht rutscht Jonathan wieder ein Stück zurück. „Aber das sagst du doch auch immer wenn ich hinfalle.“ „ich weiß“ sagt die große Schwester „Es hilft dir doch auch“ „Ja, aber nur weil ich dran glaube, dass es hilft. Das ist kein Zauberspruch oder so.“ „Dass musst natürlich du entscheiden“ meint die große Schwester achselzuckend. „Aber denkst du nicht, dass es dir so gut hilft weil du daran glaubst.“ „Das sind doch nur Worte“ erwidert Jonathan „Nur Worte? Denkst du denn nicht, dass Worte sehr mächtig sein können?“ Nachdenklich kratzt der kleine Bruder sich am Ohr. „Es sind halt nur einzelne Buchstaben.“ Die große Schwester legt ihren Kopf schräg und nimmt wieder den Bleistift in die Hand den sie vorhin weggelegt hat. „Wenn ich jetzt den ganzen Tag sagen würde, dass du deinen Stift verlierst, was würdest du dazu sagen?“ „Ich würde sagen, dass du Blödsinn redest.“ „Warum versuche ich hier überhaupt mit dir zu diskutieren?“ schnaubt die große Schwester. „Gut, ich erkläre es dir so wie ich es gelernt habe. Wörter sind wichtig. Wir reden den ganzen Tag. Stimmt doch?“ Ein nicke aus der Ecke. „Und wenn wir etwas ganz oft sagen und es dann auch passiert glauben wir daran. So wird es dann auch zur Realität.“ „Realiwas?“ fragt der kleine Bruder der mittlerweile wieder aufgestanden ist und durchs Zimmer geht. „Realität. Wenn etwas wirklich da ist. So wie das Kissen da. Es ist in der Realität auf dem Boden.“ „Sag nochmal Realität und ich gehe.“ Sagt der kleine Bruder. „Schon gut, ich erzähle weiter. Die Hexe hat mir mein Knie verbunden und sich neben mich auf die Ablage gesetzt. „Woher willst du eigentlich wissen, dass Simone eine Hexe ist und nicht einfach eine Frau, die halt gerne mit Kräutern arbeitet und neugierige Katzen hat?“ wirft der kleine Bruder ein. „Endlich mein eine Sinnvolle Frage von dir. Ich würde sagen jeder entscheidet selbst wann und ob er sich Hexe nennen will. Magisch arbeiten ist natürlich nicht für alle etwas aber wer zu lernen bereit ist kann eine Hexe sein.“ „Und was wenn ich ein Zauberer sein möchte?“ „Du kannst natürlich auch ein Zauberer sein wenn du das gern möchtest. Hexe kann man aber zu allen sagen. Auch zu dir.“ Sagt die große Schwester lächelnd und fährt fort ehe ihr Bruder weitere Einwände hat. „Ich habe sie auf jeden Fall gefragt ob sie öfter Kindern hilft die verletzt sind und sie hat gesagt, es macht ihr Spaß mit ihrem Wissen als Hexe anderen zu helfen. Simone ist nämlich eine Küchenhexe und kennt sich ganz gut mit der Natur und ihren Fähigkeiten aus. Es gibt aber ganz unterschiedliche Hexen. Manche wohnen in der Stadt und arbeiten als Mediendesigner und manche wohnen auf dem Land und sind Bankfachangestellte. Und es gibt so viele verschiedene Sachen die Hexen machen. Manche arbeiten mit dem Mond oder mit Karten, manche machen Musik oder schreiben um magisch zu arbeiten. Manche reden mit Göttern und Wesenheiten. Aber alle nennen sie sich Hexe.“ „Das klingt ja sogar spannend“ sagt Jonathan der sich während der Geschichte ein Loch in den Socken gebohrt hat und diesen nur auszieht. „Also sind Hexen garnicht böse?“ „Nicht wirklich, nein“ erwidert die große Schwester und blickt zur Tür durch die ihre Mutter ins Zimmer kommt. „Na ihr beiden, was macht ihr denn da schönes?“ „Ach, ich erzähle Jonathan nur eine Geschichte.“ Sagt die große Schwester. „Wie nett von dir. Es übrigens ein Brief von Simone für dich gekommen liebes. Jetzt kommt ihr aber erstmal zum Essen ja?“ Die Mutter dreht sich um und geht. „Und was ist jetzt mit der anderen Hexe?“ Will der kleine Bruder wissen. Da zwinkert die große Schwester „Vielleicht stelle ich sie dir das nächste Mal vor.“

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