Hexenpost

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Hexen-Alltag

 



„Wach auf, Hexe!“, meckerte es vor der einfachen Holzhütte durch die geschlossenen Fensterläden. „Du hast Kundschaft!“
Mit einem müden Grummeln auf den Lippen erwachte die kleine, runde Frau. Sie hob ihren Kopf von dem schiefen Holztisch, auf dem sie am gestrigen Abend eingeschlafen war, nahm den mittlerweile zerknitterten Brief von ihrer Tante Etti auf und strich sich die zerzausten, braunen Strähnen aus dem Gesicht. Belunia Appelgart, von ihren engsten Freunden Luni genannt, gähnte herzhaft und schwang sich vom Stuhl. Sie richtete ihre bunte Schürze mit den vielen Taschen und schlurfte barfuß zur Tür. Auf dem Weg verstaute sie den Brief in der Schürze. Als sie öffnete, strömte das neblige Morgenlicht herein und mit ihm der Geruch von Gartenkräutern… und Ziege. Auf der Türschwelle standen ein schlaksiger junger Mann in einfacher Kleidung, der seinen Hut in den Händen knitterte, sowie ein griesgrämig dreinblickender Ziegenbock. Unwissende würden beim Anblick des Bocks eine Missbildung vermuten, doch dieser blickte tatsächlich willentlich wie ein mürrischer, alter Mann.
„Ich bin nicht dein Dienstbote. Hol deine Kunden gefälligst selbst am Zaun ab und halte sie von meinem Garten fern“, meckerte der Bock und schnaubte entnervt. Dann stolzierte er zurück auf seine Seite des Gartens, wo vier zusammengezimmerte Holzbretter einen Unterstand bildeten. Zurück blieb der junge Mann, dem das sprechende Tier sichtlich nicht geheuer war.
„Verzeiht bitte die Störung, weise Frau“, stotterte er und zerknitterte seinen Hut noch ein wenig mehr „mein Name ist Bruner. Ich bin im Auftrag des Grafen hier.“
Luni legte den Kopf schräg und lächelte freundlich. Sie war sich ihrem Ruf als Kräuterhexe bewusst, sowohl was ihre hilfreichen Fähigkeiten anging, als auch den Gerüchten, die im Tal über sie kursierten. Immerhin waren die Leute von Lamberfall von klein auf mit den Geschichten über böse Hexen, Teufel und Ungeheuern aufgewachsen. Nun bei einem dieser Spukgestalten an der Tür zu stehen und um Hilfe zu bitten, noch dazu eskortiert von einem sprechenden Ziegenbock, war ein wenig viel für einen Einheimischen. Selbst wenn dieser Schrecken die Erscheinung einer kleinen, jungen und ein wenig pummeligen Frau mit braunen Wildlocken und kleiner Stupsnase hatte, gekleidet in eine bunte Flickenschürze.
„Euch auch einen guten Morgen“, entgegnete Luni und unterdrückte ein aufsteigendes Gähnen.
„Kommt doch herein und tragt euer Anliegen nicht auf meiner Türschwelle vor. Das bringt Unglück.“ Sie zwinkerte und trat einen Schritt zurück, um den Boten hereinzulassen. Der sichtlich nervöse Mann stolperte in die abgedunkelte Hütte und schaute sich unsicher um.
Luni schob sich an ihm vorbei und machte sich daran, die Fensterläden zu öffnen, um ihr Heim ein wenig einladender aussehen zu lassen. Das einfallende Sonnenlicht enthüllte einen rußigen Raum mit einer kalten Feuerstelle, über der ein kleiner Kessel hing, den schiefen Holztisch, über dem sie letzte Nacht eingeschlafen war, sowie drei Stühle und den großen massiven Schrank, der ihre Utensilien bewahrte. Ihr Schlafplatz war durch einen dicken Vorhang vom Rest der Hütte abgetrennt und daher nicht für ihre Kunden sichtbar. Ein paar Geheimnisse behielt sich die kleine Hexe vor.
„Tee?“, fragte sie und ging zu ihrem Kessel über der erloschenen Feuerstelle. Mit der Kelle schöpfte sie einen Schluck kalten Bitterbohnentee in einen Becher und reichte ihn an Bruner. Dieser schaute sie nur mit großen Augen an und rührte sich nicht. Erneut legte Luni den Kopf schräg, ehe sie kurz auflachte und sich die Hand an die Stirn schlug.
„Bitte entschuldigt, ich bin noch nicht ganz wach. Teine“, sprach sie die Zauberformel und aus dem Becher stieg heißer Dampf. Bruners Augen wurden noch größer, doch diesmal nahm er den Becher entgegen, als Luni ihn erneut anbot.
„Feuerstein und Zunder hätten direkt neben dir gelegen“, meckerte es von draußen, doch Luni ignorierte es. Büttel, der Ziegenbock, bemerkte jeden Zauber, den sie wirkte. Andere Hexen hatten Raben, Eulen oder Katzen als Vertraute, durch deren Geist sie ihre Kräfte bündelten. Sie jedoch hatte Büttel – griesgrämig, neunmalklug und vermutlich der undankbarste Vertraute, den eine Hexe je hatte. Nachdem sie ins Tal von Lamberfall gezogen waren, hatte Luni keine Mühe gescheut, für Büttel einen eigenen Unterstand zu bauen. Zum Dank hatte der Bock ein Stück ihrer Flickenschürze abgeknabbert und war anschließend durch ihr mühsam angelegtes Kräuterbeet getrampelt, ehe sie ihm auch einen Teil des Gartens ganz offiziell zugesprochen hatte, in dem sie seine geliebten Futtermöhren und Rüben anpflanzte.
Luni nahm sich ebenfalls von dem Tee, brühte ihn mit derselben Zauberformel auf, was ein weiteres Meckern aus dem Garten zur Folge hatte, und setzte sich an den Tisch. Dabei schob sie die Reste von getrockneten Kräutern und fleckige Papiere beiseite.
Sie nahm einen Schluck von dem nun heißen Gebräu, schloss für einen Moment genießerisch die Augen und blickte den Boten auffordernd an. Bruner setzte sich ebenfalls und räusperte sich zweimal, ehe er zu erzählen begann: „Weise Frau, die Medizin, die Ihr dem Grafen verabreicht habt, hat gute Dienste geleistet. Doch seit ein paar Tagen plagen ihn wieder dieselben Beschwerden. Es ist dem Grafen nicht möglich…“ Bruner stockte, lief ein wenig rot an und räusperte sich erneut. Er trank sogar von dem Bitterbohnentee und runzelte, ob des ungewohnten Geschmacks, die Stirn.
„Der Graf wünscht also mehr Medizin gegen seine Beschwerden“, resultierte Luni aus den Worten des Boten. Bruner nickte und trank erneut, diesmal ein wenig mutiger. Der Tee entfaltete seine belebende Wirkung.
Luni erhob sich von ihrem Stuhl und trat an ihren großen Schrank. „Fosgail“, murmelte sie die Formel zum Öffnen des Schranks und zog die Türen auf. Zwischen den Schubladen und Regalen, schob sie kleine Flaschen und getrocknete Kräuterbündel beiseite, bis sie das Schälchen mit den gedrehten Pillen erreichte.
„Eigentlich hätten die Pillen für den Grafen noch ein paar Wochen reichen sollen“, sagte Luni mit einem Seitenblick zu Bruner. Der wurde wieder rot und versuchte sein Gesicht in seinem Becher zu verstecken. Mit hochgezogener Augenbraue und dem Schälchen in der Hand, trat Luni an den Tisch zurück. „Er nimmt doch nur alle drei Tage eine von den Pillen, nicht wahr?“
Bruner senkte den Blick und wagte nicht, die Hexe anzusehen. „Weise Frau, Ihr müsst verstehen. Der Graf ist noch immer kinderlos und seine Gattin…“
Nun wurde Luni doch ärgerlich: „Die Pillen sollen ihm und der Frau Gräfin helfen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Ich verkaufe sie ihm nicht, für eine Handvoll lustiger Nächte!“
Bruners Gesichtsfarbe wandelte sich innerhalb eines Wimpernschlags von Rot zu einem kalkigen Weiß. Er rutschte unruhig auf dem Stuhl herum und wagte es nicht, Luni anzusehen.
„Mein Herr, er…er…“ Die Stimme versagte ihm komplett.
Lunis Ärger verflog, sie schloss kurz die Augen und lächelte beschwichtigend, als sie anfing, die Pillen in ein kleines Säckchen zu stopfen.
„Sag deinem Herrn, er soll sich an meine Anweisungen halten, oder er wird für den Rest seines Lebens nur noch mit einem Seil auf die Jagd gehen und nicht mehr mit einem Speer.“
Im Nu leuchtete Bruners Gesicht wieder im selben Rot wie Lunis Hexenbesen aus Kirschholz. Sie grinste und pustete sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht, ehe sie dem Boten das Säckchen gab. Bruner nahm es an und langte an seinen Gürtel. Ein klimpernder Münzbeutel landete auf dem Holztisch, den die Hexe an sich nahm.
Der Bote erhob sich und verbeugte sich tief. „Habt Dank, weise Frau. Ich werde Eure Worte gewissenhaft an meinen Herrn weitertragen.“
Luni glaubte zwar nicht, dass Bruner den Mut hatte, genau dieselbe Wortwahl zu benutzen, doch sie lächelte wieder und geleitete den Boten zur Tür.
Sie schaute ihm nach, bis er sicher vor dem Zaun ihres Gartens angelangt war, winkte noch einmal und schloss dann die Tür.
Wieder allein in ihrer Hütte beschloss sie, sich nun um den Brief von Tante Etti zu kümmern und eine Antwort aufzusetzen.
Sie hatte sich gerade an den Tisch zurückgesetzt und den Brief herausgekramt, als Büttel draußen erneut anfing zu meckern: „Da ist schon wieder jemand in meinem Garten.“
Seufzend erhob sich Luni wieder und ging erneut zur Tür. Das dürfte ein langer Tag werden.


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