Hexenpost

Spiritualität - Umwelt - Gesellschaft

Die schöne Hedwig

 

Vor vielen, vielen Jahren, als die Wälder im Harz noch dicht und dunkel waren, als Tannen und Fichten eng zusammenstanden und man sich im Dickicht der Eiben verlaufen konnte, war die heutige Stadt Clausthal nur ein kleines Dorf, bevölkert von bloß einigen Dutzend Menschen.
Hin und wieder wanderten junge Männer nach Clausthal, denn hier wurden immer gerne kräftige Bergmänner und Holzfäller verlangt. Tief reichten die Stollen in den Berg und es wurde so einiges Erz ans Tageslicht gebracht.
Eines Tages begann auch der junge Georg seinen Marsch in Richtung Clausthal. Seine Familie wohnte in einem kleinen Ort am Fuße des Rammelsberges. Zwar gab es auch hier genug Arbeit für fleißige Hände, aber eine unerwiderte Liebe veranlasste ihn, sein Heimatdörfchen zu verlassen.
Georg packte seine sieben Sachen und herzte zum Abschied seine Eltern, die ihm sehr fehlen würden. Der Weg war lang und oft sehr steil. Doch nach ein paar Tagen bescherte ihn das Glück und ein Kutscher nahm ihn auf seinem Wagen mit. Trotz des schönen Frühlings regnete es bald in Strömen und das Wasser lief den beiden Reisenden von den tief sitzenden Hüten. Am Abend saßen sie vor einem kümmerlich brennenden Feuer und versuchten ihre kalten Glieder zu wärmen. Entlang der Reiseroute gab es glücklicherweise ein paar Hütten, in denen man nachts ein trockenes Lager errichten konnte.
Als am nächsten Nachmittag die ersten Häuser von Clausthal in Sicht kamen, schüttelte es Georg noch immer. Seine Stirn war heiß und er fühlte sich sterbenselend.
„Mein Freund, ich zeige dir einen Pfad. Wenn du diesem folgst, kommst du an eine kleine Hütte, umgeben von einem wilden Garten. Klopfe an und sage dem hübschen Mädchen, dass der alte Peter dich geschickt hat. In meinem Hause ist leider keine Unterkunft frei und mein Weib wird mich schelten, wenn ich ihr einen Kranken ins Hause bringe. Aber bitte die liebe Hedwig um Hilfe! Glück auf, mein Freund, Glück auf!“ mit diesem Bergmannsgruß verabschiedete sich der Kutscher.
Georg machte sich auf, den richtigen Weg zu finden und kam schon bald an einem schiefen Holzhaus an. Ein kleiner Zaun trennte den bunt blühenden Garten vom Weg. Es blühte gelb und blau und kleine rosa Trompeten nickten ihm zu. Doch als er sie berühren wollte rief es: „Halt! Bitte lass die Hütchen lieber, sie würden dir nicht wohl bekommen!“ Ein blonder Kopf tauchte aus dem Blumenmeer auf und kam ihm entgegen. Wilde Locken rahmten das muntere Gesicht und die schönsten grünen Augen, die er je gesehen hatte, blickten ihm keck entgegen.
„Ich… der alte Peter… „ stotterte er.
„Du Armer, du bist ja ganz blass!“ Und eher er sich versah lag er auf einem weichen Bett, eingekuschelt in dicken Decken, versorgt mit einem Tuch, das wohlriechend nach Kräutern seine Stirn kühlte. Ein Vorhang aus Garn und Perlen teilte sein Lager vom Rest des Hauses und hielt lästige Mücken und andere Plagegeister fern. Am Ende des Raumes, neben einem großen Fenster befand sich eine Kochstelle, an der das hübsche Mädchen ein Feuer geschürt hatte und einen großen Topf Wasser zum Kochen brachte. Die anstrengende Reise und die Krankheit ließen ihn in einen tiefen Schlaf fallen. Nur ab und an, erinnerte er sich später, wurde er kurz wach, während Hedwig ihm einen süß schmeckenden Trunk einflößte.
Als Georg endlich erwachte, wusste er nicht wo er war. Nur langsam kam seine Erinnerung wieder. Die Sonne schien hell durch das große Fenster und irgendwo krähte ein Hahn. Ein Rabe antwortete und ein ganzer Schwarm Spatzen mischte sich in das Gespräch ein. Langsam schlug er die Decke auf und zog die Nase kraus. So sehr hatte er geschwitzt, dass er roch wie ein alter Marder!
Vorsichtig richtete er sich auf und strich den Vorhang beiseite. Die Tür stand offen und ein herrlicher Sommerhauch wehte ins Haus.
Draußen sah er die schöne Hedwig im Garten hocken. Ein großes Beet voller jungem Gemüse vor sich, hockte sie da und pflückte ein grünes Kraut in einen Korb.
„Da bist du ja! Wie geht es dir heute?“ rief sie und winkte Georg zu.
„Danke, ja.. viel besser! Vielen Dank!“
„Hinterm Haus findest du einen Brunnen, da kannst du dich waschen.“ lachte sie.
Als er erfrischt wieder zum Vorschein kam, stellte sie zwei hölzerne Schüsseln auf die Stufen vorm Häuschen und winkte ihn zu sich.
„Komm, iss etwas. Du brauchst jetzt viel Kraft. Knackige Rüben und Vogelmiere, bringen dich schon wieder auf die Beine. Und jetzt erzähl: wohin führt dich dein Weg?“
Gerne nahm er das Angebotene entgegen und verspeiste die schmackhaften Blätter und scharfen Rübchen. Dazu reichte sie ihm einen kühlen Tee, der unter anderem nach Minze schmeckte. Die hatte seine Mutter auch im Garten stehen. Wenn er oder einer seiner Geschwister krank waren bereitete sie daraus auch einen Tee zu.
Dank der erfrischend freundlichen Art Hedwigs, entstand bald eine muntere Plauderei. Er berichtete von zu Hause und von seinen Plänen eine Anstellung als Holzfäller in Clausthal zu bekommen.
Hedwig lachte „Dann wende dich am besten an Simon, der gute Herr wohnt am östlichen Rand von Clausthal und hat dort einen großen Betrieb, dort wird gefällt, gesägt und gehämmert was das Zeug hält! Richte ihm Grüße aus von mir, dann stellt er dich bestimmt ein!“
Gesagt, getan. Hedwig reichte ihm noch ein Beutelchen mit wohlriechenden Kräutern für Simons Frau. „Mit besten Wünschen an die werdende Mutter!“
Georg fand den Hof schnell und ein Knecht brachte ihn zu Simon. Dort überbrachte er den Gruß der schönen Hedwig, trug seinen Wunsch nach Arbeit vor, und überreichte der Frau des Hauses auch das Beutelchen, die es mit Freuden an sich nahm!
Simon stellte Georg gerne ein und freute sich auch alsbald über die tatkräftige Hilfe! Georg sah die Arbeit wo sie war, bemühte sich sehr und war auch bald mit den anderen Knechten gut befreundet. Zusammen fällten sie die dicken Buchen, schälten die Rinde und sägten kräftige Bretter und Kanthölzer um sie ins nahe Bergwerk zu bringen.
Abends dachte Georg oft an die schöne Hedwig und so dauerte es nicht lange, bis seine abendlichen Spaziergänge ihn an dem kleinen Garten vorbei führten.
Gelegentlich traf er sie dort an und plauderte kurz mit ihr. Bald brachte er ihr einen Strauß Blumen mit, die er während des Tages im Wald gepflückt hatte. Und auch Hedwig freute sich über die Besuche Georgs und so wartete sie allabendlich auf den Stufen ihres Häuschens mit zwei Tassen süßem Kräutertee auf ihn. Abends war es inzwischen länger hell und so genossen beide ihre gemeinsame Zeit. Manchmal traf er Hedwig auch im Wald beim Sammeln von Pflanzen und Rinden, die sie abends dann zusammen zum Trocknen aufhingen. Sein Herz hüpfte vor Freude, wenn ihr wilder Lockenschopf hinter den Bäumen herannahte. Seine Kumpel klopften ihm aufmunternd auf die Schulter und feixten, wenn sie seine roten Wangen sahen!
So nahm er sich dann eines Abends ein Herz, er pflückte die schönste Rose im Garten seines Hausherren, der ihm zum Abschied noch den Kragen richtete, und wanderte durch Clauthal zur schönen Hedwig.
Die Sonne schien warm vom Himmel und versprach einen lauen Abend, als er Hedwig die Rose überreichte und ihr seine Liebe gestand.
„Mein liebster Georg. Bevor wir uns etwas versprechen und doch in Trauer auseinander gehen: in zwei Tagen ist die Sommersonnenwende. Litha, wie meine Familie sie nennt und feiert. Du kennst bestimmt die große Lichtung am Rübichtstein – Simon hatte euch verboten dort Bäume zu fällen! Begib dich zu Sonnenuntergang dort hin und verberge dich am Rand der Lichtung in den dichten Büschen. Lausche und beobachte, aber gib dich nicht zu erkennen. Danach werde ich gerne deine Frau, so denn du noch möchtest!“
Mit diesen geheimnisvollen Worten verabschiedete sie sich und entließ den verblüfften Georg. Er sprach mit niemandem darüber aber beschloss ihren Weisungen zu folgen.
Zwei Tage später lies er das Dorf Clausthal hinter sich und wanderte zum Rübichtstein. Er nahm die kleinen Trampelpfade, die sie ihm beschrieben hatte und kam nach einiger Zeit an der großen Lichtung an. Ein hoher Holunderbusch bildete an seinem Stamm eine natürliche Höhle, in die er sich mit seiner Decke verkroch, wo er dank der dichten Blätter vor allen Blicken verborgen war.
Bald sank die Sonne Richtung Horizont und eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf den Rand der Lichtung.
Zwei Frauen in weißen, wallenden Kleidern betraten die Lichtung, die Arme beladen mit Reisig und Holz. Sie errichteten in der Mitte ein Lagerfeuer. Auch aus anderen Richtungen kamen weiß gekleidete Frauen, jede trug Holz bei sich. Er erkannte Buchenstämme, Birke und Nadelhölzer, die nach und nach einen großen Holzstapel bildeten. Zuletzt betrat eine junge, blond gelockte Frau die Lichtung. Sofort erkannte er seine Hedwig!
Hedwig begleitete eine scheinbar sehr alte Frau mit langen, weißen Haaren, die sich mit der linken Hand auf einen Stab stützte und in der rechten eine Fackel trug.
Während sich alle Frauen im Kreis um die Holzscheite niederließen, zündete die Alte das Feuer an.
Was nun folgte wagte er in seinem Leben nicht, einer anderen Menschenseele zu erzählen!
Ein leiser Gesang wurde angestimmt, der ätherisch über die Lichtung wallte, die Worte nicht erkennbar. Die Gestalten wogen im Takt, tanzten, sprangen und sanken wieder zu Boden. Bündel von räuchernden Kräutern wurden im Tanze geschwungen und der Rauch zog in Spiralen in den Himmel. Langsam glühten winzige Punkte am Rande der Lichtung auf und schwebten in die Lüfte. Auch auf den Blättern seines Holunderbusches begannen kleine Leuchtkäfer ihren Flug, der sich mit hunderten weiteren um die Tanzenden balgte. Zusammen mit dem Rauch entstanden Formen von Tieren und Blüten, die im Winde auseinandertrieben und sich zu immer neuen Formen verbanden.
Nun erschienen Rehe, angelockt von dem wilden Treiben am Rande der Lichtung. Ein Fuchs und ein Hase saßen ein paar Schritt neben ihm in Frieden beieinander, sie ließen sich von seiner Anwesenheit kaum stören.
Immer wilder wurde der Tanz, während das Feuer langsam niederbrannte. Nun begann eine der Frauen über das Feuer zu springen, während andere noch immer mit ihren Bündeln qualmende Muster in die Abendluft zogen. Eine weitere folgte und noch eine! Er rieb sich die Augen und versuchte seine Sicht zu schärfen, denn was er da sah konnte nicht sein. Die Frauen liefen los und wurden sechs oder sieben Ellen weit über das Feuer getragen, was zu hellen Begeisterungsrufen der Wartenden führte. Auch seine hübsche Hedwig lief los, er walkte die Hände in der Hoffnung dass sie nicht fallen würde, sprang ab und setzte noch zwei Schritte über das Feuer in die Luft, bis sie am anderen Ende wieder zu Boden kam. Ihm wurde langsam schwindelig von dem süßen Duft des Rauches und die Angst, entdeckt zu werden ließ sein Herz rasen.
Inzwischen waren die Frauen dicht an den glimmenden Resten des Feuers zu Boden gesunken und hielten sich, wie zum Gebet die Hände. Immer wieder wiederholten sie die Worte der weißhaarigen Frau, bis der Singsang zum Verstummen kam.
Alle Blicke richteten sich an den Waldrand gegenüber der Versammlung und eine gespannte Stille senkte sich über die Lichtung.
Auch Georg hielt die Luft an und starrte hinaus aus seinem Versteck. Sollte der Leibhaftige nun erscheinen? War dies alles eine Teufelsanbetung? Er konnte und wollte es jedoch nicht glauben.
Etwas helles erschien zwischen den dichten Stämmen und ein großer, weißer Hirsch mit prächtigem Geweih betrat die Lichtung. Ihm schmerzte das Herz, denn so ein wunderbares Geschöpf konnte kein Teufelstier sein.
Aug in Aug blickten sich die Alte und der Hirsch, bis beide voller Ehrfurcht das Haupt senkten.
Am nächsten Morgen erwachte Georg mit brummendem Schädel. Ob die durchwachte Nacht oder das Erlebte daran schuld sind, wusste er nicht.
Doch wusste er nun, seine Geliebte war mit geheimen Dingen verbandelt. Doch waren es keine teuflischen Dinge.
Grübelnd machte er sich an sein Tagwerk und auch am nächsten Tag stürzte er sich in seine Arbeit. Simon fiel seine stille Art auf und er nahm ihn beiseite.
„Georg, was bedrückt dich? Warst du nicht bei der schönen Hedwig?“
„Doch, Herr Simon, das war ich...“
„Hat sie dich zur Sommersonnenwende auf die Lichtung gebeten?“
Georg machte große Augen, wie konnte Simon davon wissen? Simon schmunzelte jedoch, denn das Gesicht sagte ihm schon alles, was er wissen musste.
„Georg, mach dir keine Gedanken. Unsere Frauen sind nicht mit dem Teufel im Bunde. Auch mein Weib läuft jedes Jahr zu dieser Lichtung, vielleicht hast du sie mit ihrem runden Bäuchlein auch ums Feuer tanzen sehen?“
Er legte den Arm um Georg.
„Hier im Harze sind wir oft auf die Hilfe jener angewiesen, die sich auf die alte Weise des Heilens verstehen. Es gibt oft Unglücke Untertage, das raue Wetter zieht die Krankheiten mit sich und nur dank ihrer Hilfe haben wir die Pest mit nur wenigen Verlusten überstanden. Die Ärzte im Tal mit ihren Pillen und Gebeten helfen uns hier wenig. Die fahrenden Doktoren wollen nur unser Geld. Dabei bieten die fruchtbaren Wiesen und Wälder unseren Frauen alles, was wir für unsere Gesundheit benötigen!“ er schmunzelte.
„Hör auf dein Herz und nicht auf deinen Verstand!“
Am Abend stahl sich Georg eine weitere Rose aus Simons Garten.
Vom Fenster aus, seine Frau in den Armen haltend, beobachtete Simon dieses und wünschte ihm das Beste.
„Glück auf, mein Freund, Glück auf!“

 


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