Hexenpost

Spiritualität - Umwelt - Gesellschaft

Die Hexe und ihr Buch

 

Meine Gebete wurden erhört. Seit Tagen versuche ich mich an einem Ritual für einen Regenzauber und endlich hat es funktioniert. Der Sommer ist nicht meine Jahreszeit. Die Menschen werden aggressiv durch die Hitze, die sie zum Teil selbst verschuldet haben. Alles, was man tut, hat Konsequenzen, auch das abwarten. Die Erde hat Fieber, sie ist krank, weil die Mehrheit der Menschen, nichts tut. Das ist frustrierend. Der Regen hingegen, tut gut, senkt die Hitze der Umgebung und die Natur kann aufatmen. Es ist schwer, genügend Magie alleine anzusammeln, um diesen Zauber zu wirken, daher kann ich ihn leider nicht oft ausführen. Hier in meiner Nähe gibt es keine, mir bekannten, Hexen dir mir helfen könnten. Die meisten verstecken sich, da es nach wie vor Unannehmlichkeiten verursacht, zu behaupten man wäre eine. Einige geben es offen zu, auch in den Medien. Ich bewundere ihr Selbstvertrauen und die damit verbundene Magie. Zauber kann man schließlich nur wirken, wenn man es sich selbst auch zutraut. Der kleinste Zweifel schwächt den Zauber. Ich bin, wie viele andere dieser Zeit, von Selbstzweifeln und Unsicherheit geplagt. Ich bin nur eine introvertierte, kleine Frau, mit langem, blondem Haar und einem großen Herzen. Das was meine Magie stark macht, was mich stark macht, sind die Momente, indem ich anderen Helfen kann. Es ist anstrengend, aber der Wunsch andere zum Lächeln zu bringen spornt mich schon mein ganzes Leben lang an. Deswegen führe ich auch diese kleine Bücherei. Es gibt nichts Schöneres als ein Buch, wenn man seine Emotionen beeinflussen möchte. In jedem Wort steckt Magie. Die Magie der Gefühle der Autoren, welche auf einen selbst beim Lesen übergeht. Es ist eine ansteckende Magie, die einen oft zum Weinen oder Lachen bringt. Ein Film kann diese Magie nur geringfügig wiedergeben. Der Grund dafür ist, denke ich, dass der Autor den Film nicht selbst macht. Ich denke, dass sein Zauber, der sich in jedem Wort widerspiegelte, in einem Film sich erst durch Zweite zeigt. Heißt er wurde etwas abgeschwächt, es kommt wirklich stark darauf an, wie viel Leidenschaft die Filmcrew an den Tag legt, um den Zauber zu verstärken. Deswegen mag ich Bücher, der reine Zauber versteckt sich jahrelang in den Zeilen und kann jederzeit neu aufflammen. Das ist auch der Grund, wieso ich an meinem eigenen Buch arbeite. Ein Regenwetter wie heute ist genau das richtige Wetter, um weiter daran zu arbeiten. Es kommen weniger Leute bei Regen und da hab ich Zeit meine Magie und meinen Wunsch nach Liebe und Glück, in Worte zu fassen. Es wird ein geheimes Zauberbuch, was ich jedem empfehle, der gerade eine schlechte Zeit durchmacht. Damit diese Person nicht verzagt, damit sie neuen Mut schöpfen kann. Es wird ein Zauber sein, der einem hilft durch schwierige Zeiten durch zu kommen. Ich lege meine ganze Magie in meine Worte, welche stetig fallen wie der Regen vor meinem Fenster. Doch gerade als ich anfangen wollte zu schreiben, wurde ich schon durch ein Poltern gestört. Ich schaute auf. In dem Eingang meiner kleinen Bücherei lag ein Mann, komplett durchnässt. Erschrocken eilte ich zu ihm. „Geht es ihnen gut?“, fragte ich besorgt. Dabei blieb ich in einer kleinen Entfernung zu ihm stehen. Der Mann war einen guten Kopf größer als ich, hatte braunes Haar und schaute mich kopfüber an. Er hielt es nicht für nötig aufzustehen, sondern blieb einfach liegen und musterte mich. „Was geht dich das an?“, fragte er mich barsch. Wie unhöflich doch manche Menschen sein können. Unfassbar. Na ja, verständlich ist das schon. Er ist komplett durchnässt und vermutlich gerade ziemlich hart aufgeprallt. Trotzdem ist es ein Unding, dass er mir gegenüber so unhöflich ist. Meine Bücherei gibt ihm Schutz und ich wollte nur höflich sein. Ich seufzte, nannte mir innerlich mein Mantra, welches ich mir bei schrecklich unhöflichen Kunden immer zurechtlege, und versuchte es erneut. „Sie haben Glück, dass meine Bücherei heute geöffnet hat. Der Schauer war ja ziemlich plötzlich. Wenn sie möchten können sie sich in einen der Sessel ausruhen. Ihre Kleidung können sie zum Trocknen über die Stühle hängen. Ich bringe ihnen einen Tee und eine Decke zum warm werden“, sagte ich, während ich ihm in einer einladenden Geste auf die Sessel verweise. Von ihm kam jedoch nur ein knurriges: „Was geht dich das an? Lass mich einfach in Ruhe!“
Ich riss mich zusammen ihn nicht anzuschreien, konnte mir jedoch einen bissigen Unterton dann doch nicht verkneifen. „Sie liegen gerade in dem Eingangsbereich meiner Bücherei. Es wäre nur wünschenswert, wenn sie sich dort entfernen. Von mir aus rutschen sie einfach zwei Meter weiter, damit niemand mehr über sie stolpert. Falls sie es nicht bemerkt haben sollten, versuche ich nur höflich zu sein. Entweder sie nehmen es dankend an und warten, hier bis der Regen aufhört, oder sie können gerne wieder gehen. Vielleicht finden sie ja auch ein gutes Buch beim Warten. Auf jeden Fall verbiete ich mir ihren Tonfall. Feuchtigkeit ist für meine Bücher nicht gut und für ihre Gesundheit, so ganz nebenbei, übrigens auch nicht.“ Nach diesen Sätzen eilte ich in die Küche, um den Tee zuzubereiten. Auch wenn er keinen möchte, bekommt er einen. Am Ende bin ich dann noch Schuld, wenn er eine Lungenentzündung oder eine Erkältung bekommt. Nein danke. Den Tee koche ich mit meinen Spezialkräutern gegen Erkältungskrankheiten. Meine geheime Rezeptur für die kalte Jahreszeit. Während der Tee in der Kanne zieht, such ich ihm sogar noch meine Lieblingskuscheldecke raus. Da ich schnell friere, hab ich sie mit einem wärmenden Zauber belegt. Die Decke bringe ich ihm zuerst und stelle dabei überrascht fest, dass er sich etwas entkleidet hat. Dieser Mann besitzt anscheinend keinerlei Schamgefühl, da er nun tatsächlich in Unterwäsche in einem der Sessel sitzt. Ich trete zu ihm und werf ihm einfach die Decke über. „Was fällt ihnen ein, sich so sehr zu entkleiden?“, fragte ich entsetzt. Er schaut mich irritiert, jedoch nicht mehr so grummelig an. „Ich wollte dein Möbelar nicht nassmachen.“ Er nahm die Decke dankend an und wickelte sich darin ein. „Bei dem Regen kommt eh keiner her.“, fügte er dann noch beiläufig hinzu. Ich wünsche mir gerade eine Ohnmacht herbei. Doch dränge ich mich eher dazu, den Tee zu holen. Was fällt diesem Typen eigentlich ein? Ich stellte die Teekanne und zwei Tassen auf das Tablett und atmete nochmals tief durch. Meine Wangen sind vor Scham gerötet. Dennoch riss ich mich zusammen, um dieser armen Seele zu helfen, keine Erkältung zu bekommen. Ich brachte ihm den Tee. „Wenn ihnen der Kräutertee nicht schmeckt, müssen sie ihn nicht trinken. Er wird sie aber auf jeden Fall von innen wärmen“, sagte ich, während ich den Tee auf dem Beistelltisch neben seinem Sessel abstellte. Er beobachtete mich. Es verwirrte ihn anscheinend, warum ich so nett zu ihm war und sein flegelhaftes Verhalten ertrug, denn er verkündete mir folgendes: „Du erinnerst mich an meine Mutter.“
Jetzt war ich es, die verwirrt aufschaute: „Bitte?“
Er wiederholte sich, doch ich verstand nicht. Weswegen er sich erklärte. „Ich weiß mein Benehmen vorhin ist nicht gerade die feine, englische Art gewesen und trotzdem bist du nett zu mir. Und du bist nicht kreischend aus dem Raum gerannt, weil ich nur noch in Boxershorts in deinem Sessel sitze.“ Ich setzte mich ihm gegenüber, nachdem ich uns beiden Tee eingoss. Mein Erstaunen über diesen jungenhaften Blick war deutlich zu sehen. Wie kann ein Mann, der vermutlich um die Dreißig ist, noch genauso gucken wie ein Zehnjähriger, der ganz genau weiß, dass er gerade was ziemlich Dummes getan hat? Ich räusperte mich, trank Tee und seufzte. „Nun ja, ich vermute, ihre schlechte Laune wird einen Grund gehabt haben und das es nicht ihre Absicht war, diese an mir auszulassen. Möchten sie mir verraten, was sie so bekümmert hat?“ Er trank einen Schluck Tee, schien sich aber unsicher, ob es ihm schmeckte. Dann dachte er eine Weile drüber nach, ob er sich mir anvertraute. „Ich habe finanzielle Sorgen.“, erklärte er mir knapp. Ja, die hab ich auch, genauso wie viele Leute auch. Trotzdem war es kein Grund, so grantig zu sein. Daher hackte ich weiter nach. „Und?“
Er murrte wieder: „Wieso denkst du, dass da noch etwas dahinter steckt?“
„Weil sie gerade hilflos, wie ein kleiner Junge wirken. Ich nehme an, sie haben etwas Unschönes erlebt.“
Er schien nicht erfreut zu sein das zu hören, aber er muckte auch nicht auf. Nach einer halben Tasse Tee sagte er sogar, leiser als in seiner üblichen Lautstärke: „Meine Mutter ist verstorben und ich soll die Beerdigung organisieren und bezahlen. Dabei hab ich selbst kaum Geld zum Leben und…“, er zögert einen Moment, eh er weiter sprach: “…und es fühlt sich noch gar nicht real an, dass sie nicht mehr da ist. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, konnte ich immer zu ihr gehen, aber jetzt?“ Er zuckte mit den Schultern und nun sah ich seine Verzweiflung ganz deutlich. Ich stand auf und ging zu einem der Regale. Dort holte ich ein kleines unscheinbares Buch hinaus, dieses brachte ich ihn. Verwirrt schaute er mich an. „Wissen Sie, was sie brauchen, sind keine tröstenden Worte. Sie brauchen Hilfe", sagte ich ihm ehrlich meine Meinung. Seine Augen waren voller Trauer, doch trocken wie eine Wüste. Ich lächelte ihn mitfühlend an und tippte auf das Buch. „Lesen sie das. Danach geht es ihnen vielleicht ein bisschen besser. Außerdem können sie sich so die Zeit vertreiben.“ Er wirkte nicht glücklich, jetzt wo er bereit war sich mir zu öffnen, blockte ich ab. Aber jedes Wort was ich ihm sagen würde, würde ihm keinen Trost bringen. Gut gemeinte Worte können oftmals auch nach hinten losgehen. Jeder interpretiert sie eben anders. Das Büchlein, was ich ihm gab, beschäftigt sich mit dem Tod. Es gibt den Leuten auf wundersame Art und Weise ein Gefühl von Erleichterung, oder zumindest etwas Ähnlichen. Es hat einen Zauber in sich, welchen den Leser beruhigt. Es lässt die Leute akzeptieren, verstehen und weiter machen.
Während der Mann lass, arbeitete ich an meinem eigenen Buch. Ich war so vertieft darin, das ich gar nicht merkte wie er plötzlich hinter mir Stand. Daher erschreckte ich mich tierisch, als er fragte: „Was schreibst du da die ganze Zeit?“
Ich sah zu ihm. Seine Wangen waren noch etwas feucht und seine Augen gerötet. Er schien geweint zu haben. Das ist ein gutes Zeichen, dachte ich mir und vergaß dabei seine Frage. Er wiederholte sie zögernd. „Ich äh ... schreibe“, sagte ich zögerlich. „Was schreibst du?“, fragte er. Ihm war es anscheinend zu langweilig geworden, nur im Sessel zu sitzen und zu lesen. Ein kurzer Blick zu den Stühlen verriet mir, dass seine Sachen immer noch darüber trockneten. Er stand in die Decke gewickelt vor mir und ich bedankte mich dafür. Mir ist die Situation so schon unangenehm, aber wenn er dann noch halb nackt vor mir stünde, ach herrje, ich wüsste dann gar nicht mehr weiter. „Ein Buch?“, antworte ich ihm und merkte dabei, wie mir wieder Scham in die Wangen stieg. „Worum geht es?“, hackte er wieder nach. Statt zu sagen: „Darüber Leute glücklich zu machen", sagte ich nur: „Dies und das?“ Es war mir unangenehm, ein Glück merkte er das auch. Er trat einen Schritt zurück, ich merkte jedoch seine neugierigen Augen auf meinem PC. „Ich wollte mich für das Buch bedanken", verkündete er. „Schon fertig?“, fragte ich. Er nickte und reichte es mir. „Es war sehr lehrreich. Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich tun muss.“ Ich lächelte ihn an, weil ich mich freute das es geholfen hat. Deswegen entschied ich Folgendes: „Nehmen sie das Buch mit, bis die Beerdigung durch ist. Danach können sie es mir zurückbringen. Vermutlich werden sie es noch ein paarmal brauchen. Einfach zur Sicherheit.“ Er schaute mich überrascht an, dann schaute er auf das Buch und dann wieder zu mir „Ich heiße übrigens Michael.“
Ich lächelte freundlich und sagte: „Freut mich, Sie kennenzulernen Michael. Ich heiße Jasmin.“ Er schmunzelte unsicher: „Können wir uns jetzt bitte duzen? Ich mag das so gar nicht, wenn man mich siezt.“ Ich musste lachen, er wirkt durch und durch noch wie ein kleiner Junge. Also willigte ich in seine Bitte ein und duzte ihn nun auch. Wir setzten uns wieder in die Sessel und ich hörte mir auf seine Bitte hin an, was ihm auf dem Herzen lag. Als der Regen aufhörte, lächelte er wieder. Seine Sachen waren trocken und wir verabschiedeten uns voneinander. Dabei legte ich Michael ans Herz, das die Türen meiner kleinen Bücherei immer für ihn offen standen und ich immer ein offenes Ohr für ihn haben werde.
Es verging einige Zeit, in der ich manchmal an Michael dachte, wenn ich meine leeren Lesesessel betrachtete. Ich fragte mich, wie es ihm ging, aber das Leben ging weiter. Und diesen Sommer war allerhand zutun. Ich entschied mich dafür, gemeinsame Leseabende mit ein paar Stammkunden zu organisieren. Der Tag mit Michael hat mir gezeigt, dass viele Leute mit Problemen zu kämpfen haben, über die sie in ihrem näheren Umfeld vielleicht nicht reden wollten oder auch konnten. Um die Leute glücklicher zu machen und ihnen situationsbedingt die richtigen Bücher empfehlen zu können muss ich nun mal auch etwas mehr aus mir raus kommen. Es wurde sehr gut angenommen und ich stellte sogar fest, dass es mir sehr viel Spaß machte.
Als ich eines Tages wieder einen Regenzauber wirkte, denn meine Magie wuchs jeden Tag ein wenig, da ich mir mehr zutraute, da hörte ich ein vertrautes Poltern im Eingangsbereich meiner Bücherei. Als ich gucken ging, lag wieder Michael auf dem Boden. Er trug einen Anzug und brummelte verärgert. Ich beugte mich über ihn und fragte schmunzelnd: „Wie kommt es eigentlich dazu, dass du immer mit der Tür ins Haus fällst?“ Diesmal rappelte er sich gleich auf, als er mich sah, und kurzerhand fand ich mich in einer Umarmung wieder. „Weil du und deine Bücherei einfach umwerfend seit.“ Ich wurde rot und dazu klitschnass. Dann ergänzte er schelmisch, während er die Umarmung wieder löste: „Und weil die Stufen vor deinem Laden extrem rutschig sind, wenn sie nass sind.“ Ich musste lachen. „Freut mich, zu sehen, dass du wohlauf bist. Die Stufen muss ich wohl mal ausbessern, nicht das sich jemand noch verletzt.“
Wie bei unserer ersten Begegnung holte ich ihm die Decke und kochte uns Tee. Dann setzten wir uns in die Sessel, er hatte diesmal sogar Wechselkleidung mit, um nicht wieder halb nackt zu sein. Woher er ahnte, dass es regnen würde war mir unklar, da der Wetterbericht, nichts von meinem Regenzauber wusste. Während wir Tee tranken, redeten wir. Er erzählte mir von der Beerdigung und gab mir das Buch zurück. Er hat es unzählige Male gelesen und den Zauber in sich aufgesogen. Er trauert zwar immer noch, aber er hat es akzeptiert und verstanden. Seine Mutter hatte für die Beerdigungskosten ein separates Konto gehabt. Deswegen war der finanzielle Teil auch halb so schlimm. Es freute mich, zu hören, dass es ihm nun besser ging und noch mehr freute es mich noch mehr Geschichten von seiner Mutter zu hören. Sie war eine reizende Dame. Michael hat sich auch einige Fragen überlegt, die er mir stellen wollte. Einige gingen über mein Buch, was ich schrieb. Er war Verleger und wollte es als Dankeschön für mich verlegen. Seinem Verlag ging es jetzt nach zwei Erfolgen auch besser, da konnte er sich das Leisten. Ich lehnte jedoch erst einmal ab, da es noch nicht fertig sei. Dafür empfahl ich ihm noch ein paar weitere Bücher, die er lesen konnte.
Diese Treffen entstanden seitdem öfter, weil wir Freunde wurden. Und ich empfahl ihm immer genau die Bücher, die den passenden Zauber in sich beherbergten, der ihm in seinem Leben weiterhelfen würde.

 


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