Hexenpost

Spiritualität - Umwelt - Gesellschaft

Der verhexte Glücksbringer


 

„Wo ist der Cent, den du heute auf dem Weg zur Schule gefunden hast?“, krächzte mein Rabe. „Pssst! Nicht so laut! Du weckst noch alle auf. Der Cent ist in meiner Hosentasche.“
„Dein Schlafanzug hat Hosentaschen?“
„Wenn du nicht gleich deinen Schnabel hältst Fidibus, dann bekommen wir richtig ärger. Ich hab an alles gedacht, keine Angst.“ Ich hoffe, ich habe auch wirklich an alles gedacht. Noch bin ich keine richtige Hexe, aber ein paar Zaubersprüche kann ich schon. Natürlich geht noch viel schief, dass findet mein Rabe Fidibus immer total witzig. Aber heute Nacht passiert mir kein Fehler. Heute Nacht zaubere ich mir einen Glücksbringer.
Wir mussten ewig warten, bis Mama und Papa eingeschlafen sind. Dann haben wir uns auf Zehenspitzen in unseren Garten geschlichen. Dort stehen wir jetzt. Zwischen dem Johannisbeerstrauch und Mamas geliebten Rosen. Meine Zähne klappern schon ein wenig während ich sage: „Mir wird langsam kalt. Ich hätte wohl doch Schuhe anziehen sollen.“
„Na dann beeilen wir uns lieber mal. Hast du den Cent?“
Ich fische den Cent aus meiner Hosentasche und bestätige: „Jawohl!“
„Hast du den auch gründlich gewaschen?“
„Schau doch wie er glänzt, natürlich hab ich ihn gewaschen.“
„Und Vollmond haben wir auch?“
„Ja, rund und voll hängt er am sternenklaren Himmel.“
„Und den Zauberspruch weißt du hoffentlich auch noch?“
„Ja klaro!“
„Na dann los, Hexe. Auf was wartest du noch?“
Da hat er recht. Also fange ich an den Zauberspruch zu sagen und den Glücksbringer über meinen Kopf Richtung Mond zu halten.
„Flüche gebannt, Probleme verschwinden.
Glück komm zu mir, es soll mich finden.
Mit dieser Münze in der Hand, im Vollmondschein,
habe ich immer Glück. So soll es sein!“
„Super kleine Hexe und jetzt schnell wieder rein und ab ins kuschlig warme Bett!“
Heute darf ich zu meiner Oma. Also, schnell anziehen und los. Aber was ziehe ich nur an? „Nimm am besten die grüne Bluse, mit den Punkten. Die hat vorne eine kleine Tasche, da kannst du deinen neuen Glücksbringer reintun.“ Stimmt, da hat Fidibus recht. Die Bluse hat kurze Ärmel und besagte Tasche, in die ich gleich meinen Glücksbringer stecke. Mal sehen ob ich Heute wirklich Glück habe.
Als wir bei meiner Oma ankommen dauert es immer noch eine Weile bis sie die Türe öffnet. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste. Fidibus flüstert: „Wenn sie noch langsamer läuft, dann läuft sie rückwärts.“ Die Türe geht endlich auf, aber ich denke nicht, dass sie gehört hat was mein Rabe gesagt hat. Sie grinst einfach, weil ich grinse und umarmt mich. Dabei drückt sie mich ganz fest, das traut man ihr gar nicht zu, weil sie so klein ist. Ich bekomme kaum noch Luft, als ich plötzlich auch noch Lachen muss. „Omi, du pustest mir ins Ohr!“. Da muss sie natürlich mitlachen. Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich direkt in ihre Küche. Natürlich läuft sie wieder extrem langsam wie zuvor. Fidibus macht Schnarchgeräusche auf meinem Kopf und ich muss wieder kichern. Weil Oma auch eine Hexe ist, hängen in ihrer Küche ganz viele getrocknete Gewürze von der Decke. Zitronenmelisse, Thymian, Minze, Brennesel und noch andere, die ich aber noch nicht kenne. „Ich hab mich schon so auf euch gefreut“, sagt Oma grinsend „wie wäre es, wenn wir zusammen Muffins backen? Die mögt ihr doch so“. Und wie wir die mögen. Am liebsten mit Ameisenfüllung. Da kommen natürlich keine richtigen Ameisen in den Teig, sondern Schokostreusel. Aber wenn man von den Muffins abbeißt, dann sieht es so aus, als ob ganz viele Ameisen drin sind. Damit ich die Zutaten besser abwiegen und in die Schüssel tun kann, darf ich auf einen ihrer Holzstühle stehen. Dabei muss ich echt aufpassen, dass ist nämlich ganz schön wackelig. Fidibus setzt sich auf die Deckenlampe die direkt über dem Tisch hängt, so kann er von oben zuschauen. Ich messe alle Zutaten ganz genau ab. Wir fangen mit dem Zucker und der Butter an. Dann alles schaumig schlagen, das macht Oma mit ihrem Handrührgerät. Ich frage sie, warum sie nicht einfach einen Zauberspruch sagt und dann rührt der Schneebesen alles von alleine. So wie bei den Hexen im Fernsehen. Aber so funktioniert Magie nicht, sagt Oma dann jedes Mal. Also müssen wir selber rühren. Die Eier schlägt Oma dann in den Teig. Die will ich nämlich nicht anfassen. Fidibus und ich waren mal bei Oma im Hühnerstall und haben gesehen, wie die Eier bei den Hühnern aus dem Po flutschen. Igitt. Oma macht das aber nichts aus. Sie schlägt die Eier einfach am Rand der Schüssel auf und lässt das glibberige Innere in den Teig plumpsen. Jetzt noch Mehl dazu und alles gut durchrühren. Nach einer Weile sagt Oma: „So, der Teig ist fertig. Jetzt können wir ihn in die Förmchen füllen. „Nein!“, krächzt Fidibus ganz aufgeregt. „Ihr habt die Schokostreusel vergessen!“. Oh nein, er hat recht. Oma sagt, die Streusel wären im Keller. Die müsse sie noch schnell holen und wir sollen ja nicht vom Teig naschen. Aber es riecht einfach total lecker. Ich lehne mich ganz weit über die Schüssel und schließe meine Augen. Oh nein! Plötzlich wackelt der Holzstuhl unter mir, ich falle auf den Tisch. Ich kann mich gerade noch mit den Händen auf der Tischplatte abfangen. Doch bei meinem Sturz ist mein Glückscent, in hohem Bogen aus meiner Tasche in die Teigschüssel geflogen und dort sofort in der duftenden, cremigen Masse untergegangen. „Oh nein! Was mach ich denn jetzt bloß? Wenn ich das meiner Oma erzähle denkt sie bestimmt ich habe vom Teig genascht“. Fidibus hat aber ganz andere Gedanken und sagt: „Wenigstens hast du dich nicht verletzt Hexe. Dein Sturz gerade sah echt gefährlich aus. Also ich würde das Glück nennen, dass du dir nicht wehgetan hast. Versuch doch mal, ob du den Cent irgendwie rausfischen kannst“.
Gute Idee. Ich stelle Omas Stuhl wieder richtig hin und versuche mit einem Löffel den Cent aus dem Teig zu fischen. Aber egal was ich versuche, ich finde ihn einfach nicht. Auf einmal warnt mich Fidibus: „Ich kann deine Oma hören, sie ist gleich wieder da, schnell leg den Löffel zurück!“. In null Komma nichts habe ich alles wieder so hingelegt wie vorher. Aber was soll ich denn jetzt machen? Was passiert, wenn er in einen der Muffins kommt und jemand ihn einfach mitisst? Aber bevor ich irgendetwas sagen kann, schüttet meine Oma die Schokostreusel in den Teig, rührt nochmal um, verteilt den Teig in die Förmchen und stellt die Muffins in den heißen Ofen. „20 Minuten, dann sind sie fertig.“, sagt Oma. Die Minuten vergehen wie im Flug und auch der restliche Tag geht schnell vorbei. Ich helfe Oma im Garten, sie bringt mir viel über Heilkräuter bei, die bei ihr überall wachsen. Die fertigen Muffins hab ich schon ganz vergessen, bis meine Eltern kommen um mich abzuholen. Mein kleiner Bruder ist auch dabei. Er flitzt direkt zu mir und ruft: „Wir haben Pizza für alle dabei!“. Papa grinst und stellt die Pizzakartons auf den Küchentisch, während meine Mama schon Teller und Besteck aus den Schränken holt. Oma kommt auch gerade vom Garten in ihre Küche und freut sich riesig über das gemeinsame Essen. Nach der Pizza gibt es natürlich unsere Muffins zum Nachtisch. Für jeden einen. Alle beißen genüsslich ab. Nur ich bin nervös und beobachte alle beim Kauen. Hoffentlich beißt niemand auf meinen Glücksbringer. Oder verschluckt sich daran. Aber nichts passiert, alle sind fertig mit essen und sehen wirklich glücklich aus. Papa reibt sich seinen vollen Bauch. Er setzt sich gleich im Wohnzimmer vor den Fernseher und schaut das Fußballspiel. Seine Lieblingsmannschaft spielt heute. Mama hilf meiner Oma noch beim Abspülen, mein Bruder und ich dürfen im Garten spielen, bis wir nach Hause gehen. Wir spielen Verstecken. Bei Oma, in ihrem verwilderten Hexengarten, macht das besonders viel Spaß. Aber heute hat mein kleiner Bruder Glück. Richtig viel Glück. Er gewinnt jedes Spiel. Egal wo Fidibus und ich uns verstecken, er findet uns immer. Ob er wohl doch meinen Glücksbringer ausversehen gegessen hat? Nach einer Weile ruft uns unsere Mama. Sie hat wohl gerade einen Anruf von ihrem Chef bekommen. In den letzten Tagen musste sie oft länger arbeiten und weil sie das so gut gemacht hat, bekommt sie morgen den ganzen Tag frei. Sie freut sich riesig. „Dann können wir morgen in den Zoo,“ schlägt Mama vor „und Oma nehmen wir auch mit!“ Jetzt freut sich auch Oma. Auf einmal drehen wir uns alle Richtung Papa, der schreit nämlich gerade ganz laut: „Toooooooor!!! Wir haben gewonnen! Drei zu null! Was für ein tolles Spiel!“. Nach einer Weile hat sich Papa dann aber wieder beruhigt und sagt: „wir fahren jetzt nach Hause, aber ich will noch kurz mit meiner Oma reden. Ich muss ihr das mit meinem Glückscent sagen. Also erzähle ich ihr alles ganz genau. Wie Fidibus und ich uns heute Nacht rausgeschlichen haben um den Cent zu verhexen. Wie ich dann beim Backen vom Stuhl gefallen bin und der Glücksbringer im Teig gelandet ist. Das ich Angst hatte ihr das zu sagen und sie dann den Cent in einem Muffin mitgebacken hat. Das ich nicht weiß wer ihn gegessen hat, weil ja alle heute Abend so viel Glück hatten. Mein Bruder beim Verstecken spielen. Mama, dass sie morgen frei hat. Sie, weil wir zusammen in den Zoo gehen und Papas Fußballmannschaft hat gewonnen. Irgendwann beim Erzählen sind mir die Tränen gekommen. Oma muss grinsen, ich find das nicht lustig, aber sie sagt: „Ach meine kleine Hexe. Ich hätte doch nicht mit dir geschimpft, wenn du mir die Wahrheit gesagt hättest. Du hattest wirklich Glück, dass du dir nicht weh getan hast, als du vom Stuhl gefallen bist. Ich denke, dein Zauber hat wirklich gewirkt. Und schau mal was ich beim Spülen gefunden habe.“ Sie holt meinen Glückscent aus ihrer Tasche. „Der war noch in der Teigschüssel. Du brauchst also keine Angst zu haben, niemand hat ihn gegessen. Mach sowas aber bitte nie wieder. Du kannst mir immer alles sagen, dafür sind große Hexen doch da!“ Sie umarmt mich wieder ganz fest und pustet mir dabei ins Ohr, aber dieses Mal macht es mir nichts aus.

 

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