Ist Spiritualität noch erlaubt?
Eine kritische Betrachtung in Zeiten der "Corona-Idioten"
von Stefanie Glaschke/ 11.9.2020
In den letzten Wochen wurde ein neuer Begriff mehr als häufig verwendet. „Verschwörungstheoretiker“. Was genau jedoch ein Verschwörungstheoretiker ist, war bei der Fülle der unterschiedlichen Verwendungen nicht erkennbar. Wissenschaftlich betrachtet ist ein Verschwörungstheoretiker eine Person, die eine Verschwörung vermutet. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) definiert Verschwörung wie folgt:
„Von einer Verschwörung spricht man, wenn sich Menschen zusammenschließen, um im Geheimen ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Ihre Absichten schaden meistens anderen Menschen, ihr Ziel ist nicht rechtens. Die Verschwörer versprechen sich gegenseitig Verlässlichkeit, sie schwören alles für das gemeinsame Ziel zu tun.“ (Quelle)
Soweit ist das gut zu verstehen. Wer also an die Verschwörung von Bill Gates glaubt, um alle Menschen zu unterjochen, ist ein Verschwörungstheoretiker. Das Dilemma der aktuellen Medienberichte liegt jedoch darin, dass unter diesem Begriff viele Menschen zusammengefasst werden, die nicht in die Rubrik Verschwörungstheoretiker gehören. Da sind beispielsweise die Esoteriker, die an den Frieden in der Welt glauben, der durch Meditation eintritt. Sie vermuten keine Verschwörung, sie glauben an etwas. Auch die sogenannten Impfgegner müssen nicht unbedingt Verschwörungstheoretiker sein. Sie können einfach eine andere Auffassung von Gesundheit und Gesundheitsschutz haben als diejenigen, die den Corona Impfstoff so sehnlich herbeisehen.
Es fehlt an Differenzierung. Viele Medienberichte lassen vermuten, dass kaum mehr Zeit für echte Recherche genutzt wird. Doch das vorschnelle Urteil „Verschwörungstheoretiker“ schädigt nicht nur die zu Unrecht betroffenen Personen, sondern auch die Gesellschaft. Spirituelle Menschen haben immer maßgeblich zur Entwicklung der sozialen Gemeinschaft beigetragen. Wer Ruhe und Empathie geben kann, ist wichtig für alle, die die Orientierung verloren haben. Die Kirchen und die Glaubensgemeinschaften sind nicht frei von Fehlern und Übeln. Aber sie haben immer dann ein Zuhause gegeben, wenn die Wirtschaft das nicht konnte. Viele Frauenhäuser und Obdachlosenheime, Kindergärten und Seniorenheime werden von spirituellen Leitbildern geprägt. Hier arbeiten Menschen, die an den Sinn ihrer Arbeit und an die Menschlichkeit glauben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie der weißen Magie, der Yogalehre oder Jesus von Nazareth folgen. Spiritualität bedeutet, von etwas inspiriert zu sein, das größer ist als man selbst. Spiritualität bedeutet, an das Gute zu glauben. Eine menschliche Gesellschaft braucht die Überzeugung, dass Werte nicht in Euro ausgedrückt werden können. Sie kann nicht nur durch die Hybris der Algorithmen leben. Auch Demut und Dankbarkeit gehören zum Menschsein. Es ist keine Schande, morgens eine Tarotkarte zu ziehen, um ein wenig in sich zu gehen. Es ist eher eine Schande, ein unschuldiges Kind zu schlagen oder zu missbrauchen. Wer seine innere Ausgeglichenheit erhalten kann, indem er sich mit Edelsteinen befasst, schadet niemandem. Wer Arbeitnehmer mit Werkverträgen ausbeutet, die ihnen kaum genug zum Leben lassen, schädigt Menschen sehr wohl. Räucherstäbchen sind weniger schädlich als Klappmesser und ich persönlich würde auch lieber Aluhüte in Leipzig Connewitz sehen als Sturmhauben und Pflastersteinen. Wir müssen wachsam sein und darauf achten, dass Esoterik, die uralte antike Lehre von der Lebensweisheit, nicht mit Verschwörungstheorien verwechselt wird. Denn der Glaube an die Schöpfung und die Seele allen Lebens ist keine Verschwörungstheorie. Es ist Glaube, Religion oder Spiritualität. Hier herrscht eine Motivation des Herzens. Wer jetzt lächelt, dem fehlt es an Wissen. Denn die Ratio macht nur einen geringen Teil unserer Lebensaktivitäten aus. Viel stärker wirkt das Unbewusste. Hier sei auf das bekannte Eisbergmodell verwiesen.
So brauchen Menschen zum Beispiel Rituale, um sich sicher zu fühlen. Wir alle kennen das Bedürfnis nach Regelmäßigkeit. Das muss nicht das Fernsehprogramm sein. Eine Meditation zu Ehren einer Vorstellung von einer Gottheit taugt ebenso gut. Denn, mal ehrlich: Bringt das Fernsehen nicht auch überwiegend Märchen und Fiktionen? Ist der Glaube an Wirecard und den Dieselmotor nicht rückblickend auch ein verfehlt gewesen? Wer die Wikipedia zum Thema „Glaube“ befragt, der wird schnell erkennen, dass es um Vertrauen und Stabilität geht. Spiritualität ist es, die Krankenpfleger dazu bringt, unbezahlte Überstunden zu machen, weil ein kranker alter Mann seit einer Woche keinen Besuch bekommen hat. Spirit ist häufig die Kraft, die ehrenamtliche Hospizmitarbeiter oder Lese-Omas in den Grundschulen aushalten lässt, obwohl ihre Arbeit weder bezahlt noch gesellschaftlich wirklich geschätzt wird. Spirit, Glaube und Vertrauen bringt alleinerziehende Mütter dazu, für ihre Kinder durchzuhalten, wenn Home-Schooling ihnen den letzten Nerv raubt. Manche mögen es nicht einmal wissen, doch es gehört eine große Portion Vertrauen dazu, sich für andere Menschen einzusetzen.
Ich will keinesfalls eine Lanze brechen für Dummheit und Gewalt. Aber ich wünsche mir einen Umgang und eine Sprache, die nicht alle Menschen über einen Kamm schert, nur um damit den Traffic oder die Auflagenstärke zu erhöhen. Das Schimpfen auf die „Corona-Idioten“ ist ein billiger Weg, sich beliebt zu machen. Eine derart reiche Gesellschaft wie die unsere könnte durchaus die Frage stellen, warum schon seit langer Zeit so viele Menschen irrationalen Theorien hinterherlaufen. Wo sind die Sicherheit, das Vertrauen und die Stabilität, die jeder Mensch braucht? Manchmal wirken eben Trends und Konsum nicht, um einem Menschen echte innere Ruhe zu geben. Immer wieder verlieren wir Menschen an selbst ernannte Heilsbringer. Aber die Sekten und rechtextreme Vereinigungen, die in den 80er und 90ern als Rattenfänger für die Jugend gewirkt haben, oder eben die modernen Verschwörungstheoretiker entspringen nicht der Spiritualität, der Religion oder dem Glauben. Sie entstehen durch einen Mangel an Spirit in unserer Gesellschaft.
Mit dem Teilen dieses Artikels hilfst du dabei, dass wir achtsam bleiben und die Spiritualität bewahren.